Interview mit Prof. Dr. med. Alexander Brinkmann


Das Interview führten Dr. Ute Chiriac, Dr. Heike Hilgarth und Dr. Wiltrud Probst

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) empfiehlt in den neuen Strukturempfehlungen (2022) Stationsapotheker*innen als festes Mitglied im interdisziplinären Behandlungsteam auf Intensivstation. Sie haben bereits 2008 einen Apotheker in Ihr Team integriert und die Zusammenarbeit vorgelebt. Wie kam es dazu? Wie sieht die Zusammenarbeit im Alltag aus?

Unsere primäre Idee war das Thema Antibiotika-Therapie mit dem besonderem Fokus, die Dosierung differenzierter betrachten zu wollen. Dr. Otto Frey, klinischer Pharmazeut am Klinikum Heidenheim bot uns ein therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) zunächst für Piperacillin/Tazobactam – später auch für Meropenem – an. Wir waren sogleich begeistert. Innerhalb kürzester Zeit erlebten wir im klinischen Alltag, wie hilfreich eine Beteiligung von klinischem Pharmazeut*innen in der Versorgung von Patient*innen auf der Intensivstation ist. Dieser zusätzliche Service ist notwendig, insbesondere aber bei pharmazeutischen Fragestellungen, bei denen Intensivmediziner*innen zielgerichtet unterstützt werden können. Die am Klinikum Heidenheim arbeitenden Pharmazeut*innen haben ein hohes Interesse für den klinischen Versorgungsprozess und ich möchte die Zusammenarbeit heute nicht mehr missen.

Im klinischen Alltag werden Serumspiegel für Antiinfektiva und Antiepileptika täglich bestimmt, auf deren Grundlage dann eine telefonische und digitale Rückmeldung an die Station vonseiten der Krankenhausapotheke mit individuell angepassten Dosisempfehlungen erfolgt. Darüber hinaus finden nachmittags täglich interprofessionelle Visiten mit einer Beteiligung von klinischen Pharmazeut*innen statt. Hier werden weitere wichtige Arzneimittel bezogene Probleme adressiert, beispielsweise Interaktionen, Kompatibilitäten und mögliche Toxizitäten.

Internationale Studien zeigen, dass die Teilnahme von Apotheker*innen an Visiten die Patient*innen- und Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern kann. In welchen Bereichen sehen Sie als Intensivmediziner den größten Nutzen der pharmazeutischen Expertise auf Intensivstation?

Durch die seit vielen Jahren verstetigte pharmazeutische Betreuung im Klinikum Heidenheim ist diese Frage prinzipiell beantwortet, denn dies unterstreicht die Bedeutung und auch die Unverzichtbarkeit von klinischen Pharmazeut*innen im Versorgungsprozess auf der Intensivstation. Natürlich sind individuell angepasste Dosierungsstrategien und die pharmazeutische Unterstützung von großem Vorteil. Wenn ich auf meine persönliche Entwicklung in den letzten 10 bis 15 Jahren zurückblicke, kann ich nur sagen, dass ich durch die Zusammenarbeit außerdem mein Wissen über Pharmakokinetik und -dynamik insbesondere von antiinfektiven Substanzen deutlich weiterentwickeln konnte. Ich bin dafür sehr dankbar.

Qualitätssicherung in der Intensivmedizin ist Ihnen ein großes Anliegen, mit dem Sie sich seit Jahren beschäftigen. Gibt es aus Ihrer Sicht geeignete Indikatoren oder Maßzahlen (harte und weiche Faktoren) für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen und Apotheker*innen? Welche Voraussetzungen sollten Ihrer Meinung nach Stationsapotheker*innen mitbringen, um ein akzeptiertes Mitglied im interdisziplinären Team zu sein?

Ich bin überzeugt, dass ein grundsätzliches Interesse am klinischen Versorgungsprozess unserer kritisch kranken Patient*innen sowie ein profundes Wissen über relevante Arzneimittel (z. B. Antiinfektiva) eine Grundvoraussetzung darstellen.

Die DIVI Qualitätsindikatoren (QI) bilden wichtige Elemente mit Relevanz für die pharmazeutische Betreuung ab. Beispielhaft möchte ich den QI 6 „Maßnahmen zum Infektionsmanagement auf der Intensivstation“ nennen, in dem in den aufgeführten Merkmalen zur Strukturqualität auf das Vorhandensein eines ABS-Teams, der Antiinfektiva-Surveillance, lokaler Therapieempfehlungen und der Verfügbarkeit von TDM nicht nur für Glykopeptide und Aminoglykoside, sondern auch für Beta-Lactame, Linezolid und Voriconazol hingewiesen werden. Demnach denke ich, dass neben einer gewissen beruflichen Erfahrung und Expertise auch eine Qualifikation in den Bereichen Infektiologie/ABS-Expert*in und Medikationsmanagement, der/die Fachapotheker*in für klinische Pharmazie oder weitere Weiterbildungen wünschenswert sind. Eine Strukturierung der Anforderungen an klinische Pharmazeut*innen und ggfs. Festlegungen von Kompetenzen könnte hier von Bedeutung sein und sollte von den Berufsverbänden vorangetrieben werden.

Die digitale Patientenakte bietet neue Chancen auch in der pharmazeutischen Betreuung im Krankenhaus. Wo sehen Sie das Potenzial der digitalen Zukunft im Hinblick auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Apotheker*innen auf deutschen Intensivstationen?

Von besonderer Bedeutung ist der Datenaustausch in solchen Systemen unter Beachtung der DIVI Qualitätsindikatoren. Auch die Etablierung von verschiedenen erprobten Kalkulationstools, z. B. CADDy, VancoEasy und MeroEasy, birgt ein großes Potenzial. Dies generiert Vorteile für die ärztlichen und pharmazeutischen Kolleg*innen und unterstützt einen transparenten Austausch. Bei all den potenziellen Vorzügen einer digitalen Kommunikation bleiben allerdings meiner Meinung nach der persönliche Kontakt, der interprofessionelle Dialog und die Präsenz am Krankenbett entscheidende Voraussetzungen für eine adäquate Wahrnehmung der Patient*innen mit ihren individuellen, pflegerischen und medizinischen Fragestellungen. Dies ist die Basis für eine erfolgreiche Integration der Apotheker*innen ins Team.

Nach einer Umfrage unter leitenden Intensivmediziner*innen ist eine regelmäßige pharmazeutische Betreuung auf 35 % der deutschen Intensivstationen etabliert. Wo sehen Sie mögliche Umsetzungshindernisse, Apotheker*innen in der Intensivmedizin zu integrieren?

Das Ergebnis wird eher überschätzt. Eine Schwäche dieser Befragung ist sicherlich, dass vor allem interessierte Intensivmediziner*innen geantwortet haben.

Welche Hindernisse auch immer die Kolleg*innen zurückhalten – eine klinisch-pharmazeutische Unterstützung zu etablieren, kann ich an dieser Stelle nur dringend empfehlen. Sowohl ich als auch meine Kolleg*innen und Patient*innen auf der Intensivstation profitieren von dieser interprofessionellen Zusammenarbeit, die unseren Horizont erweitert. Dennoch sind Veränderungen nicht leicht zu etablieren und es bedarf einer Vorbildfunktion. Die Finanzierung sollte auf jeden Fall nicht der führende Grund sein, die pharmazeutische Expertise nicht in das Team zu integrieren. Ich bin mir sicher, dass es auch einen betriebswirtschaftlichen Vorteil dieses fachlichen Austausches/der Kooperation gibt. Man muss hier nur genau hinschauen und geeignete Zielgrößen definieren.

Sie verfügen über eine beeindruckende Zahl an Weiterbildungen und engagieren sich als Referent mit großem Enthusiasmus in der Aus- und Weiterbildung. Werden aus Ihrer Sicht in der Aus- und Weiterbildung von Ärzt*innen und Apotheker*innen ausreichend Impulse für die interdisziplinäre Zusammenarbeit gesetzt?

Nein, in der heutigen Zeit leider noch nicht. Betrachte ich das medizinische Curriculum, wäre hier eine interprofessionelle Zusammenarbeit bereits im Studium extrem hilfreich und eine sinnvolle und wichtige Ergänzung. Dies ist eine Aufgabe für die Gegenwart, vor allem aber auch für die Zukunft, die wir alle mitgestalten sollten.

Shared solutions/klinikübergreifende Angebote sind eine wichtige Ergänzung für eine effiziente Stationsarbeit bei begrenzten Ressourcen, um die Arzneimitteltherapiesicherheit zu erhöhen. In interdisziplinärer Zusammenarbeit wurde daher auf Bundesebene durch DIVI und ADKA gerade eine Liste mit Standardkonzentrationen für Dauerinfusionen in die Intensivmedizin erarbeitet, eine Übersicht zu Kompatibilitäten ist geplant. In welchen Bereichen sind aus Ihrer Sicht weitere gemeinsame Empfehlungen hilfreich?

Für mich wären Handlungsempfehlungen zur klinischen Relevanz von Interaktionen (z. B. QT-Zeit-Verlängerung), TDM/Dosierungsstrategien und klinischen Ernährung weitere gute gemeinschaftlich zu bearbeitende Projekte, bei denen wir von dem Wissen der klinischen Pharmazeut*innen profitieren können.

Was empfehlen Sie Berufskolleginnen und -kollegen, die sich als Stationsapotheker*innen auf Intensivstationen einbringen wollen?

Ich denke, es sollte ein konstruktiver Dialog mit den Verantwortlichen gesucht werden. Hier gilt es, beispielsweise in einem persönlichen Kontakt auf exemplarische Projekte zu verweisen, den individuellen Bedarf zu eruieren und mögliche Ideen zur Umsetzung im eigenen Haus gemeinsam zu entwickeln.

 

Prof. Dr. med. Alexander Brinkmann, Chefarzt der Klinik für Anästhesie, operative Intensivmedizin und spezielle Schmerztherapie im Klinikum Heidenheim, Schloßhaustraße 100, 89522 Heidenheim

Dr. Ute Chiriac, Apotheke des Universitätsklinikums Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 670, 69120 Heidelberg, E-Mail: Ute.Chiriac@med.uni-heidelberg.de

Dr. Heike Hilgarth, Wissenschaftsreferentin der ADKA, Alt-Moabit 96, 10559 Berlin, E-Mail: hilgarth@adka.de

Dr. Wiltrud Probst, Kliniken Landkreis Heidenheim gGmbH, Apotheke, Schloßhaustraße 100, 89522 Heidenheim, E-Mail: Wiltrud.Probst@Kliniken-Heidenheim.de

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