Saskia Fechte, Stuttgart
Adipositas kann in einer verringerten Appetitkontrolle durch einen genetisch bedingten Mangel an Proopiomelanocortin (POMC) oder des Leptinrezeptors (LEPR) begründet sein. Setmelanotid kann die Melanocortin-4-Rezeptoren (MC4R) aktivieren, den Appetit drosseln und dadurch das Gewicht senken.
Wie lautet die Zulassung?
Das Melanocortin-Analogon Setmelanotid (Imcivree®, Rhythm Pharmaceuticals) ist zur Behandlung von adipösen Erwachsenen und Kindern ab 6 Jahren mit genetisch bestätigtem, durch Funktionsverlustmutationen bedingtem biallelischem Proopiomelanocortin(POMC)-Mangel (einschließlich PCSK1) oder biallelischem Leptinrezeptor(LEPR)-Mangel zur Behandlung von Adipositas und Kontrolle des Hungergefühls zugelassen.
Außerhalb der genannten Patientengruppe ist Setmelanotid als Abmagerungsmittel von der Verordnung für gesetzlich Versicherte grundsätzlich ausgeschlossen.
Wie lautet der Beschluss des G-BA?
Der G-BA sieht einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen. Mit der Zulassung von Setmelanotid als Arzneimittel zur Behandlung eines seltenen Leidens gilt der medizinische Zusatznutzen als belegt. Die wissenschaftliche Datengrundlage lässt eine Quantifizierung allerdings nicht zu.
Was war die zweckmäßige Vergleichstherapie?
Durch die Einstufung als Orphan-Drug besteht keine Notwendigkeit für einen Nachweis über den medizinischen (Zusatz-)Nutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie.
Wie ist die Studienlage?
Die Nutzenbewertung bezieht sich auf zwei offene, einarmige nicht-randomisierte Phase-III-Studien des Herstellers zur Wirksamkeit und Sicherheit von Setmelanotid bei Patienten mit POMC-/PCSK1- bzw. LEPR-Mangel-Adipositas. Insgesamt wurden jeweils 15 Patienten zwischen 7 und 37 Jahren eingeschlossen (Median 16 Jahre). Nach einer Dosistitrationsphase und einer zehnwöchige Behandlungsphase durften alle Patienten, die nach der offenen Behandlungsphase mindestens 5 kg bzw. 5 % (bei Ausgangswert < 100 kg) an Gewicht verloren hatten und Setmelanotid gut vertrugen, weiter teilnehmen. Es folgte eine Withdrawal-Phase, in der Setmelanotid abgesetzt wurde und über vier Wochen Placebo und nachfolgend wieder Setmelanotid (verblindet) gegeben wurden. Im Anschluss folgte eine 32-wöchige Behandlungsphase mit Setmelanotid.
Für den Endpunkt Morbidität konnte in beiden Studien eine relevante Reduktion von Körpergewicht und BMI im Vergleich zu Baseline beobachtet werden. Die Daten bezüglich Mortalität, gesundheitsbezogener Lebensqualität und Nebenwirkungen sind laut G-BA nicht bewertbar.
Warum hat der G-BA so entschieden?
Der G-BA bescheinigt Setmelanotid zur Behandlung von Adipositas und zur Kontrolle des Hungergefühls für die genannte Patientengruppe einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen, da die Studienergebnisse auf eine Reduktion des Körpergewichts und des BMI nach 52 Wochen durch die Gabe von Setmelanotid hinweisen. Grundsätzlich sieht der G-BA relevante Veränderungen hinsichtlich des Therapieziels (relative Gewichtsabnahme bzw. BMI-Reduktion) mit bedeutsamem klinischem Stellenwert, die in ihrem Ausmaß jedoch nicht quantifizierbar sind. Zudem liegt durch das einarmige, offene Studiendesign ein hohes Verzerrungspotenzial vor. Insgesamt bewertet der G-BA die Interpretation der vorgelegten Daten als schwierig, da auf ihrer Basis keine Beurteilung im Vergleich zum natürlichen Krankheitsverlauf bei der vorliegenden Patientenpopulation möglich ist.
Kosten
Die Jahrestherapiekosten eines Patienten betragen nach Angaben des G-BA nach Abzug gesetzlich vorgeschriebener Rabatte etwa zwischen 58 160 und 290 798 Euro für Kinder bis 12 Jahren und zwischen 116 319 und 387 731 Euro für Patienten ab 12 Jahren (Stand Lauer-Taxe: 11/22). Hinzu kommen etwaige Kosten für zusätzliche notwendige GKV-Leistungen.
Quellen
Gemeinsamer Bundesausschuss. Beschluss. Setmelanotid (Adipositas und Kontrolle von Hunger, POMC-, PCSK1- oder LEPR-Mangel-Adipositas, ≥ 6 Jahre) vom 1. Dezember 2022.
Gemeinsamer Bundesausschuss. Tragende Gründe zum Beschluss. Setmelanotid (Adipositas und Kontrolle von Hunger, POMC-, PCSK1- oder LEPR-Mangel-Adipositas, ≥ 6 Jahre) vom 1. Dezember 2022.
Krankenhauspharmazie 2023; 44(01):34-34