Prof. Dr. Christian Hoffmann, Hamburg
Der CD4-Antikörper Ibalizumab (Trogarzo®) ist eine sehr willkommene neue Option für HIV-infizierte Patientinnen und Patienten mit multiplen viralen Resistenzen. Schon aufgrund des Applikationswegs und der erheblichen Kosten ist jedoch klar, dass das Medikament jener Gruppe vorbehalten bleiben wird, bei der sich tatsächlich keine anderen Möglichkeiten mehr bieten, eine Virussuppression zu erreichen.
Diese Gruppe ist zum Glück sehr klein: In Deutschland sind es vermutlich keine 100 Personen. Die Studienlage zeigt überdies, dass bei diesen Patienten Ibalizumab als einzige wirksame Substanz nicht ausreichen wird, sondern immer mit anderen wirksamen Substanzen kombiniert werden muss, und zwar nach der individuellen Resistenzlage. Sofern unter den zugelassenen Medikamenten nichts mehr wirksam ist, zeichnen sich mit Lenacapavir, Fostemsavir und Islatravir neue Möglichkeiten am Horizont ab.
Vorteile Ibalizumabs sind, dass bislang keine Kreuzresistenzen beobachten werden; die Verträglichkeit scheint gut zu sein, schwere Allergien sind selten. Relevante Interaktionen mit den oft komplexen Begleittherapien sind nicht zu erwarten. Allerdings fehlen Langzeitdaten. Erfahrungen über Zeiträume von mehr als zwei Jahren beschränken sich auf weltweit wenige Dutzend Fälle. Angesichts des Wirkungsmechanismus, dem Andocken an den CD4-Rezeptor, ist ein erhöhtes Risiko infektiöser Komplikationen zumindest denkbar, was sich auch erst bei größeren Fallzahlen und längerer Beobachtung offenbaren könnte. Auch über Autoimmunphänomene ist bislang wenig bekannt. Wenngleich die bisherigen Erfahrungen nicht für derartige Komplikationen sprechen, so ist eine sorgfältige Überwachung im Rahmen von Beobachtungsstudien zu empfehlen.
Eine hohe Adhärenz der Patientinnen und Patienten ist entscheidend. Schon bei einer Verzögerung um nur drei Tage ist eine erneute Induktion in höherer Dosis notwendig, was nach dem aktuellen Stand enorme Kosten von mehr als 7000 Euro (!) verursacht. In der Praxis (Reisen, Erkrankungen) sind Probleme einer solchen Dauertherapie absehbar, zumal unregelmäßige Intervalle das Resistenzrisiko erhöhen werden. Schon deshalb wird sicher versucht werden, die zweiwöchentlichen Infusionen mit Ibalizumab nach Möglichkeit eher zu vermeiden und andere Optionen zu versuchen – zumal der erhebliche Mehraufwand nicht im Leistungskatalog der GKV abgebildet ist. Eine wichtige, bislang unbeantwortete Frage für die Zukunft wird auch sein, ob Ibalizumab in bestimmten Fällen als Induktion ausreicht – und nur eine Zeit lang, etwa bis zu einer Virussuppression, gegeben werden kann, die dann möglicherweise mit weniger Aufwand aufrechterhalten werden könnte.
Die Patientinnen und Patienten sollten in größeren Zentren behandelt werden, vorzugsweise von Ärztinnen und Ärzten mit langjähriger HIV-Erfahrung. Es ist zu empfehlen, gerade auch die Begleittherapie in interdisziplinären Expertenrunden (unter Einschluss von Virologinnen und Virologen) zusammen zu stellen. Letztlich ist auch zu betonen, dass die Infusionen – vor allem am Anfang – nur von sehr gut geschultem Personal angelegt werden sollten. Bei virämischen Patientinnen und Patienten mit multiresistenten Viren wäre bei einer akzidentellen Nadelstichverletzung zu erwarten, dass gängige Postexpositionsprophylaxen wirkungslos sind. Die Übertragung solch resistenter Virusstämme (Einzelfälle sind beschrieben) wäre für die Betroffenen ein Super-GAU.
Nichtsdestotrotz wird Ibalizumab im Einzelfall die Wende bringen können. In Kohortenstudien bei mit multiresistenten Viren infizierten Patientinnen und Patienten hat sich gezeigt, dass eine komplette Virussuppression die Mortalität und Morbidität (AIDS) der Betroffenen reduziert. Für diese Menschen bietet der neuartige Ansatz also eine unter Umständen lebensrettende Möglichkeit, eine langfristige Virussuppression zu erreichen.
Dieser Beitrag erscheint zeitgleich in der AMT in der Rubrik „Arzneimittel in der Diskussion“ (Arzneimitteltherapie 2021;39:121).
Krankenhauspharmazie 2021; 42(04):173-173