(K)ein Leitfaden für Apotheker


Dr. Sigrun Klausner, Salzburg

Arzneimittel in der Schwangerschaft und Stillzeit

Ein Leitfaden für Ärzte und Apotheker

Von Klaus Friese, Klaus Mörike, Gerd Neumann, Wolfgang E. Paulus. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 9., völlig neu bearbeitete Auflage 2021. XIV, 620 Seiten., 20 Farbabbildungen, 45 Farbtabellen. Auch als E-Book erhältlich. Kartoniert 59,80 Euro. ISBN 978-3-8047-3927-7. E-Book 59,80 Euro. ISBN 978-3-8047-4285-7.

Die Beratung zu Arzneistoffen in Schwangerschaft und Stillzeit ist ein wichtiger Bereich im Arbeitsalltag von Pharmazeuten. Der haftungsrechtliche Aspekt, unter welchem die meisten Fachinformationen verfasst sind, und die eingeschränkte Verfügbarkeit guter evidenzbasierter Daten erschweren eine fundierte Beratung zu den meisten Arzneistoffen in Schwangerschaft und Stillzeit. Seit eine deutschsprachige, im Internet frei zugängliche Datenbank die gängigsten 400 Arzneistoffe in deutscher Sprache vorbewertet hat, ist die Not zwar um vieles kleiner als früher – aber leider gibt es deutlich mehr als 400 Arzneistoffe und viele Kollegen halten lieber ein „aktuelles“ Buch in der Hand als ein aktualisiertes Smartphone. Umso größer ist die Erwartung, dass ein Fachbuch diese Lücke zwischen Beipackzettel und verunsicherten Patientinnen (und Apothekern) erfolgreich und rasch füllen kann. Doch so viel vorweg: hierfür lieber ein anderes Buch verwenden.

Das bereits seit vielen Jahren aufgelegte Buch von Friese, Mörike und Neumann erschien 2021 in seiner 9., völlig neu bearbeiteten Auflage mit einem neuen Autor an Bord, Dr. Paulus von der Beratungsstelle Reprotox in Ulm.

Der Aufbau des Buches erscheint sehr logisch und startet mit einer ausführlichen Einleitung über die Entwicklung des Ungeborenen, die Mechanismen von schädigenden Einflüssen von mütterlichen Erkrankungen bis hin zu Substanzmissbrauch. Im folgenden Teil werden Arzneistoffe in entsprechende Gruppen unterteilt und erst in der Gruppe und anschließend in eigenen Monographien für ihre Anwendung in der Schwangerschaft bewertet. Der zweite Teil des Buches befasst sich mit der Stillzeit und ist genauso wie der erste aufgebaut.

Wie sieht so eine Monographie aus? Nach dem Wirkstoff wird ein Beispiel für ein Fertigarzneimittel genannt, dann folgt die Bewertung laut FDA und ADEC (das amerikanische und australische Bewertungssystem für Arzneistoffe in Schwangerschaft und Stillzeit) und anschließend eine kurze Zusammenfassung der aktuellen Datenlage und Angabe der verfügbaren Literatur. Für die Stillzeit wurde ein eigenes Bewertungssystem geschaffen: Kategorien 1–4, wobei Kategorie 1 (grün) problemlos in der Stillzeit einzusetzen ist und Kategorie 4 (rot) absolut zu meiden ist.

Die Verwendung des Kategorisierungssystem der FDA für die Schwangerschaft verwundert sehr, denn die FDA selbst empfiehlt seit 2007, Arzneistoffe für ihre Anwendung in der Schwangerschaft nicht mehr in dieser Art zu bewerten. Für eine differenzierte Risikobewertung reichen die Gruppen A, B, C, D, X einfach nicht aus. Zu ungenau ist die Risikoeinschätzung – und ein unnötiges Verunsichern von Patienten möglich (Kweder 2008).

Doch erhält man in vorliegendem Buch die Infos aus den anschließenden Texten? Leider nur mäßig.

Selbstverständlich ist es nicht möglich, alle im vorliegenden Buch beschriebenen Arzneistoffe mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu vergleichen. Doch nehmen wir mal ein paar Monographien heraus:

  • Bei Amisulprid wird lediglich auf die Fachinformation verwiesen. Es fehlt der Hinweis auf eine Literaturrecherche und die Tatsache, dass es keine publizierten Daten gibt.
  • Haloperidol sei laut der Autoren das „Antipsychotikum der ersten Wahl“, beruhend auf Daten aus dem Tierversuch und Literatur aus dem „Nervenarzt“ von 1998. In Rhode (2016) findet man dagegen Daten zu mehr als 400 Schwangerschaften mitsamt der jeweiligen Literatur während Friese et al. dies nicht erwähnen.
  • Für Quetiapin sei die Erfahrung begrenzt – laut der Quelle Briggs 2011. Auch hier werden die Daten in Rhode (2016) nicht erwähnt.
  • Bei Rivaroxaban ist die zitierte Literatur von 2016. Aber hier gäbe es interessante neue Publikationen von 2018 und 2020, die in Medline verfügbar sind.
  • Für die Anwendung von Sertralin wird lediglich über eine größere Studie mit 267 Frauen berichtet, bei denen es keine Hinweise auf Auffälligkeiten gab. Als Laie würde ich glauben, es gibt nur diese eine Studie, aber: Die SSRIs sind so gut untersucht, wie kaum eine andere Arzneistoffgruppe. Es gäbe zig-tausend Fallberichte!

Vielleicht war die genaue Aussage auch nicht geplant – denn zu Antidepressiva gibt es einen Übersichtsartikel zu Anfang des Kapitels. Hier wird aufzählungsartig beschrieben, welche Studien es zu Antidepressiva in der Schwangerschaft gegeben hat, und in einem Satz das Gesamtergebnis erwähnt: keine Zahlen, keine genauen Angaben zum Setting, zu zufälligen Nebenbefunden, kein gesamtes Fazit. Also muss man sich erst wieder mit der zitierten Literatur hinsetzen und sehen, was davon wirklich brauchbar ist. Die Primärliteratur lässt sich übrigens „problemlos“ wiederfinden. Die zitierten Autoren werden vollständig angegeben. Da kann es schon mal vorkommen, dass 20 bis 40 (!) Personen aufgezählt sind (S. 181, S. 210, S. 409). Für den Lesefluss ist dies nicht von Vorteil.

Zurück zu den Monographien: Mich verwundert sehr, dass einige Monographien nicht am Stand der Wissenschaft orientiert sind, sondern an der Fachinformation oder anderer Tertiärliteratur, z. B. Briggs 2011. Gerald Briggs ist ein amerikanischer Autor, der jährlich (!) ein Buch zu Arzneistoffen in Schwangerschaft und Stillzeit publiziert und in diesem Risikobewertungen anhand von Primärliteratur durchführt. Die aktuelle Auflage ist von 2021.

Briggs ist übrigens nicht die einzige Sekundär bzw. Tertiärliteratur, die als Wissensquelle für dieses Buch herangezogen wurde. Viele Daten sind aus den Zeitschriften „Frauenarzt“, „Monatliche Medizinische Wochenschrift“, „Deutsches Ärzteblatt“, „Deutsche Medizinische Wochenschrift“, „Monatsschrift Kinderheilkunde“ oder dem „Anästhesist“.

Nicht zu vergessen ist die alte Auflage des rezensierten Buches, auch sie ist als Quelle angegeben.

Interessant ist, dass sich das Zitiersystem im zweiten Teil des Buches plötzlich ändert. Während im Schwangerschaftsteil alle Aussagen mit einer jeweiligen Nummer zur entsprechende Literaturstelle verweisen, werden im Stillteil alle Literaturstellen am Ende des Textes gesammelt angegeben. Dafür erscheinen bei einigen Monographien plötzlich Hinweise auf Autor und Erscheinungsjahr im Text.

Was ist neu in dieser Auflage 2021? Die Beschreibung von COVID-19 und möglichen Auswirkungen auf die Schwangerschaft sowie der Hinweis, dass es in Deutschland „zahlreiche“ Pharmakotherapie-Beratungsdienste gibt, die sich speziell mit einer Arzneimittelberatung in der Schwangerschaft beschäftigen. Die Auswahl findet sich auf der Internetseite der AkdÄ. Diese Information scheint so neu, dass man sie im Dezember 2021 dort auf jeden Fall (noch) nicht findet.

Andere Erkrankungen, wie das Zika-Virus, welches 2016 zu vielen Fehlbildungen bei Neugeborenen in Brasilien geführt hat, oder Influenza und die Grippe sucht man stattdessen vergeblich.

Suchen muss man auch sonst hie und da, denn es gibt kein Inhaltsverzeichnis bezüglich der Arzneistoffe. Die Übersicht über die Reihenfolge der Arzneistoffgruppen befindet sich am Beginn der Kapitel „Schwangerschaft“ und „Stillzeit“, meistens stimmten die Angaben der Seiten mit den realen Seiten dann auch überein (nicht aber bei Hämostase, da ist S. 232 angegeben und sie ist erst auf S. 234).

Wirklich beunruhigend erscheint mir die Aussage, dass „Antipsychotika während der 4. bis 10. Schwangerschaftswoche vermieden werden sollen – sowie zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, um UAW beim Neugeborenen zu vermeiden“. Diese Aussage geht auf einen Artikel im „Nervenarzt“ von 1998 zurück. Man würde heute keiner Schwangeren mehr zum „Pausieren“ einer stabil eingestellten Psychopharmakotherapie raten, sondern mit gut untersuchten Präparaten eine möglichst stabile Einstellung während der gesamten Schwangerschaft beibehalten wollen. Für ein grundsätzliches Vermeiden gibt es jedoch keine wissenschaftliche Evidenz und Aussagen sind nur auf spezifische Arzneistoffe bezogen möglich (Rohde 2016).

Zu guter Letzt die „Zusammenfassung zu Arzneimitteln und deren Risikobewertung“ (S. 52). Hier findet man eine fast schon widersprüchliche Formulierung: „Als umfassende Informationsquellen über Arzneimittelrisiken in Schwangerschaft und Stillzeit dienen international zugängliche Datenbanken mit Angaben zu Einzelsubstanzen sowie Fachinformationen von Originalanbietern“ und einen Absatz später: „Beipackzettel und rote Liste erlauben keine zuverlässige Abschätzung des Arzneimittelrisikos“.

Der letzten Aussage kann man definitiv zustimmen, denn die Informationen in Beipackzetteln erlauben selten eine differenzierte Risikobewertung – meistens auch nicht die der Fachinformationen vom Originalanbieter. In meinen Augen ist so eine Einschätzung aber auch mit dem vorliegenden Buch nur sehr beschränkt möglich.

Literatur:

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

Rhode, Dorsch, Schaefer. Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit. 4. Aufl. Thieme Verlag, 2016

Kweder S. Drugs and biologics in pregnancy and breastfeeding: FDA in the 21st century. Birth Defects Res A Clin Mol Teratol. 2008;82(9):605-9

Krankenhauspharmazie 2022; 43(11):459-460