Sonja Zikeli, Stuttgart
Wie lautet die Zulassung?
Blinatumomab (Blincyto®) ist – neben der Therapie Erwachsener – für die Monotherapie bei Kindern ab einem Jahr mit einem Hochrisiko-Erstrezidiv einer akuten lymphatischen B-Zell-Leukämie (ALL) zugelassen. Voraussetzungen sind ein Philadelphia-Chromosom-negativer und CD19-positiver-B-Vorläufer-Status.
Das Orphan-Drug ist ein gentechnisch hergestellter Antikörper, der spezifisch an CD19 bindet und zur T-Zell-Aktivierung führt. Dadurch zerstört Blinatumomab proliferierende und ruhende Tumorzellen.
Wie lautet der Beschluss des G-BA?
Der G-BA hat Blinatumomab einen Hinweis auf einen erheblichen Zusatznutzen für das neue, sehr seltene Anwendungsgebiet bei Kindern attestiert.
Was war die zweckmäßige Vergleichstherapie?
Blinatumomab wurde mit einer Hochrisiko-Konsolidierungschemotherapie (HC) bei Kindern verglichen.
Wie ist die Studienlage?
Der pharmazeutische Unternehmer hat die Ergebnisse der noch laufenden internationalen, multizentrischen, randomisierten, kontrollierten, offenen Phase-III-Studie 20120215 vorgelegt, in der Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von Blinatumomab untersucht wurden. Eingeschlossen wurden 108 Kinder ab einem Jahr mit einem ersten Rezidiv nach einer Induktionstherapie und zwei Zyklen HC. Sie erhielten 1 : 1 randomisiert entweder eine Blinatumomab-Infusion über vier Wochen (= ein Behandlungszyklus; n = 54) oder HC3 (Verabreichung des Chemotherapieschemas über eine Woche als Infusion und drei Wochen behandlungsfreie Zeit; n = 54). Primärer Endpunkt war das ereignisfreie Überleben (EFS), weitere Endpunkte beinhalteten das Gesamtüberleben (OS), die kumulative Rezidivinzidenz und die 100-Tage-Mortalität nach allogener Stammzelltransplantation.
Ergebnisse
- OS: statistisch signifikanter Unterschied (p < 0,003) zugunsten von Blinatumomab (9/54) im Vergleich zu HC3 (23/54)
- EFS: statistisch signifikante Überlegenheit (p < 0,001) von Blinatumomab (17/54) versus HC3 (31/54)
- Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse: bedeutsamer Vorteil (p = 0,035) von Blinatumomab (13/54) gegenüber HC3 (22/54)
Warum hat der G-BA so entschieden?
Die Ergebnisse der ersten Interimsanalyse haben die Überlegenheit von Blinatumomab in Bezug auf den primären Endpunkt EFS gezeigt. Das Orphan-Drug hatte deutliche Vorteile im Vergleich zu einer intensiven Chemotherapie:
- Geringeres Rezidivrisiko
- Höhere Gesamtüberlebenschance
- Wahrscheinlicheres ereignisfreies Überleben
- Weniger schwere Nebenwirkungen
Für den Endpunkt OS war die Aussagesicherheit hoch und das Verzerrungspotenzial niedrig. Im Gegensatz dazu wird bei dem primären Endpunkt EFS aufgrund der unverblindeten Beurteilung durch den lokalen Prüfarzt von einem hohen Verzerrungspotenzial ausgegangen. Hinzu kamen Unsicherheiten bei den unerwünschten Ereignissen, bedingt durch den relativ kurzen Beobachtungszeitraum. Diese Unsicherheiten und das hohe Verzerrungspotenzial des Endpunkts EFS waren letztendlich für die Einstufung der Aussagesicherheit in die Kategorie „Hinweis“ verantwortlich.
Kommentar
Die Immuntherapie mit Blinatumomab ist im Vergleich zur intensiven Chemotherapie ein echter Therapiefortschritt für Kinder mit ALL nach einem ersten Rückfall – wenn auch in einem sehr seltenen Anwendungsbereich. Zudem ist sie besser verträglich als die zweckmäßige Vergleichstherapie. Hervorzuheben ist, dass der pharmazeutische Unternehmer eine randomisierte, kontrollierte Studie durchgeführt hat, obwohl es sich um eine sehr seltene Erkrankung handelt. Somit ist das Orphan-Drug ein gutes Beispiel dafür, dass aussagekräftige Studien auch bei einer seltenen Erkrankung möglich und notwendig sind. Besonders ist auch, dass der G-BA die höchste Kategorie eines Zusatznutzens erst zum zweiten Mal für ein Orphan-Drug vergeben hat: Abgesehen von Blinatumomab fiel diese Entscheidung erstmals für eine Kombinationstherapie mit Ivacaftor bei Mukoviszidose.
Quellen
Beschluss des G-BA. Blinatumomab (Überschreitung 50-Millionen-Euro-Grenze).
Pressemitteilung des G-BA vom 20. Januar 2022.
Tragende Gründe zum Beschluss. Blinatumomab.
Krankenhauspharmazie 2022; 43(03):109-109