Anamnese
Ein hochbetagter Patient wurde während der Visite mit einer hypertensiven Entgleisung, ansteigender Temperatur und mehrfachem Erbrechen vorgefunden. Daraufhin wurde ihm Dimenhydrinat zur Antiemese appliziert. Das 12-Kanal-EKG zeigte neben einem AV-Block II° eine QTc-Zeit-Verlängerung bis 506 ms und das Labor eine Hypokaliämie mit 2,81 mmol/l. Nach kurzer Zeit entwickelte der Patient eine Torsade-de-Pointes-Tachykardie. Es erfolgte umgehend eine Herzdruckmassage mit Frühdefibrillation und nachfolgender ROSC (return of spontaneous circulation).
Medikation
Wirkstoff | Stärke | Darreichungsform | Einnahmeschema | Grund |
Dimenhydrinat | 62 mg | AMP | Einmalgabe | Übelkeit/Erbrechen |
Urapidil | 30 mg | REK | 2-1-2 | Hypertonie |
Ramipril | 5 mg | TAB | 1-0-1 | Hypertonie/Herzinsuffizienz |
Hydrochlorothiazid | 25 mg | TAB | 1/2-0-0 | Hypertonie/Herzinsuffizienz |
Amlodipin | 5 mg | TAB | 1-0-1 | Hypertonie |
Allopurinol | 300 mg | TAB | 1-0-0 | Hyperurikämie |
Ipratropium/Salbutamol | 0,5 mg/2,5 mg | INH | 1-1-1 | COPD |
Nitrendipin | 20 mg | TAB | bei Bedarf | Hypertonie |
Glyceroltrinitrat | 0,4 mg/Hub | SPR | 2 Hub bei Bedarf | Hypertensive Krise |
Diagnose
Torsade-de-Pointes-Tachykardie bei Hypokaliämie und QTc-Prolongation nach Dimenhydrinat-Gabe
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Torsade-de-Pointes-Tachykardie im EKG des Patienten
Quelle: Klinikum Fürth
Therapie
- Kardiopulmonale Reanimation für zwei Minuten und Frühdefibrillation mit 200 J (biphasisch)
- Intravenöse Gabe von Magnesium und Kalium
- O2-Gabe über Mundnasenmaske mit 8 l/min
Pathomechanismus
Die Gabe von Dimenhydrinat beim mutmaßlich vorbestehenden verlängerten QTc-Intervall des Patienten, vermutlich ausgelöst durch die Kombination aus einer Hypokaliämie (möglicherweise Thiazid-induziert) und dem β2-Sympathomimetikum Salbutamol, erhöhte das Risiko für eine Torsade-de-Pointes-Tachykardie.
Dimenhydrinat ist ein H1-Antihistaminikum und wird als Antiemetikum zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen eingesetzt [5]. Dabei besteht das Arzneimittel eigentlich aus zwei Wirkstoffen: Diphenhydramin und 8-Chlortheophyllin, wobei die antiemetische Wirkung von ersterem ausgeht. Diphenhydramin ist auch für die Wirkung am Herzen verantwortlich, die besonders bei Menschen mit kardialer Vorerkrankung oder bei gleichzeitiger Einnahme mit QT-Zeit-verlängernden Arzneimitteln problematisch werden kann. Auch eine Hypokaliämie kann Arrhythmien auslösen [2].
Eine Verlängerung der QT-Zeit resultiert aus einem verlängerten Aktionspotenzial in den Kardiomyozyten. Dazu kommt es, wenn der schnelle Kaliumausstrom des kardiomyozytären hERG-Kaliumkanals gehemmt wird und so keine Rückkehr zum Ruhemembranpotential möglich ist [3, 4]. Da die Bindungsstelle am hERG-Kanal recht unspezifisch ist, können verschiedene Arzneimittel dort binden und diesen blockieren, so auch Dimenhydrinat bzw. Diphenhydramin [4].
Auch die Hemmung von Na+-Kanälen sowie weiteren spannungsabhängigen K+-Kanälen – den Kv1.5 – wird als mögliche Ursache diskutiert [6].
Durch eine übermäßige Verlängerung des Aktionspotenzials wird das Membranpotenzial instabil. Daraus können frühe Nachdepolarisationen resultieren, die bei Erreichen des Schwellenpotenzials neue Aktionspotenziale auslösen. Im klinischen Bild spricht man nun von Torsade-de-Pointes-Tachykardie (Spitzenumkehrtachykardie - wegen des spindelförmigen Bildes im EKG) [3].
Auch eine Hypokaliämie führt zu Repolarisationsstörungen und erhöht das Risiko für die Entwicklung einer Torsade-de-Pointes-Tachykardie. Eine ursächliche Beteiligung des kaliumsenkenden Hydrochlorothiazids ist hier nicht auszuschließen.
Für β2-Sympathomimetika ist ebenfalls eine QT-Zeit-verlängernde Wirkung und ein erhöhtes Risiko für Torsade-de-Pointes-Tachykardien belegt. Problematisch ist, dass β2-Sympathomimetika auch inhalativ zu einem Kalium-Shift von extra- nach intrazellulär über die Aktivierung von Natrium-Kalium-ATPasen führen. Über Vernebler werden 10–20 mg Salbutamol appliziert, was zu einer Reduktion des Serum-Kaliums um bis zu 0,88 mmol/l führen kann [1].
Wichtige Hinweise – Lessons learned
- Dimenhydrinat ist laut Fachinformation bei „Herzrhythmusstörungen“ kontraindiziert und darf nur unter besonderer Vorsicht bei Patienten mit Hypokaliämie und Hypomagnesiämie angewendet werden.
- Besondere Vorsicht besteht bei der Kombination von Dimenhydrinat mit Kalium-senkenden Wirkstoffen wie β2-Sympathomimetika, Schleifen- und Thiaziddiuretika oder in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Wirkstoffen!
- Bei Symptomen wie Schwindel oder Synkopen, aber auch bei verlängertem QTc-Intervall (> 500 ms), muss Dimenhydrinat sofort abgesetzt werden.
- Bei QT-Zeit-verlängernden Wirkstoffen sollte der Kalium-Spiegel kontrolliert und ggf. eine EKG-Monitoringpflicht vorgenommen werden [3].
Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Julia Groß1, Prof. Harald Dormann1, Prof. Renke Maas2, Dr. Ullrich Voran1, Dr. Barbara Pfistermeister1
1 Klinikum Fürth, Fürth
2 Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Klinische Toxikologie
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Quellen
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Arzneiverordnung in der Praxis. Jahrgang 50 – Ausgabe 1, März 2023. (pdf)
- DAZ.online. Wirkstofflexikon, Dimenhydrinat. (zuletzt aufgerufen am 3.12.24)
- Deutsches Ärzteblatt. Medikamentenbedingte QT-Verlängerung und Torsade de pointes: Ein multidisziplinäres Problem. Dtsch Arztebl 2002;99(28-29):A-1972/B-1662/C-1556.
- Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2020. S. 132.
- Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2020. S. 580.
- Park SI, et al. Acute inhibition of the kuman Kv1.5 channel by H1 receptor antagonist Dimenhydrinate: mode of action. Biol Pharm Bull 2023;46:1394–402. doi: 10.1248/bpb.b23-00170.
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