Psychose und Suizidgedanken unter Finasterid

Anamnese

Ein 47-jähriger Patient wurde in der Notaufnahme aufgrund einer Intoxikation mit Doxylaminsuccinat vorgestellt. Er hatte insgesamt 40 Tabletten à 25 mg Wirkstoff in suizidaler Absicht eingenommen. Zusätzlich zeigte er Anzeichen einer schizoaffektiven Störung.

Aktuelle Medikation

Tab. 1. Häusliche Medikation des Patienten

Finasterid 1 mg FTA bei androgenetischer Alopezie1-0-0
Vitamin D3/K2 (Nahrungsergänzungsmittel) 

Diagnose

Schizoaffektive Psychose mit Suizidgedanken als mögliche Nebenwirkungen der Finasterid-Einnahme.  
Weiteres Vorgehen: Sofortiges Absetzen von Finasterid und Aufenthalt in der Psychiatrie.

Pathomechanismus

Finasterid ist ein Inhibitor der 5α-Reduktase Typ II und hemmt einen Schlüsselschritt der Bildung zahlreicher Steroidhormone in Geweben, wie Prostata, Leber, Gehirn und Haarfollikeln. Klinisch relevant ist vor allem die Hemmung der Reduktion von Testosteron zum stärker androgen wirksamen 5α-Dihydrotestosteron (5α-DHT) [4].  

Bei genetischer Prädisposition begünstigt 5α-DHT die Glatzenbildung. Durch die Blockade der 5α-DHT-Bildung kann der Haarausfall reduziert werden [2].  

Bei der permanenten Überwachung von Nebenwirkungsfällen fanden sich Verdachtssignale für Suizidfälle unter Finasterid-Einnahme, die hinreichend waren um die Aufnahme von Warnhinweisen in die Fachinformationen zu rechtfertigen, ohne dass der genaue Pathomechanismus bewiesen ist [1, 7].

Mögliche diskutierte Ursachen sind, dass die antiandrogene Wirkung vor allem bei jüngeren Männern auch sexuelle Dysfunktion und Libidoverlust hervorrufen, was zu psychischen Beeinträchtigungen führen kann [8]. Das Enzym 5α-Reduktase ist zudem an der Synthese des Neurosteroids Allopregnanolon beteiligt, welches antidepressiv und anxiolytisch wirkt. Durch Hemmung des Enzyms sinkt auch der Spiegel von Allopregnanolon, was ein möglicher Mechanismus für die Assoziation von Depressionen mit der Finasterid-Einnahme ist [5].  

Wichtige Hinweise – Lessons learned

  • Vor Therapiebeginn mit Finasterid sollten Patienten (und Partner/Angehörige) auf das Risiko von sexueller Dysfunktion (teilweise persistierend auch > 10 Jahre nach Absetzen) und Stimmungsänderungen hingewiesen werden [7].
  • Bei Eintreten von psychiatrischen Symptomen Therapie abbrechen und in ärztliche Behandlung begeben [7].
  • Alternativen bei androgenetischer Alopezie:
    • Lokale Anwendung eines Finasterid-Sprays → Wirksamkeit annähernd vergleichbar, geringere systemische Wirkung und dadurch Rückgang der Häufigkeit von Depressionen und Libidoverlust [6]
    • Minoxidil (Wirkungsmechanismus beruht auf Stimulierung des Haarwachstums und Stabilisierung menschlicher dermaler Papillarzellen) aufgrund des anderen Wirkungsmechanismus keine psychischen Nebenwirkungen [3]

Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Miriam Specht, Prof. Dr. Harald Dormann, Prof. Dr. Renke Maas* und Dr. Barbara Pfistermeister

* Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Klinische Toxikologie

Quellen

  1. Fachinformation Propecia® 1 mg Tabletten. Stand März 2024.
  2. Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2020. S. 960.
  3. https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Minoxidil_41175#Wirkmechanismus (abgerufen am 1.7.2024).
  4. Leliefeld HHJ, et al. The post-finasteride syndrome: possible etiological mechanisms and symptoms. Int J Impot Res published online September 11, 2023.
  5. Nguyen DD, et al. Investigation of suicidality and psychological adverse events in patients treated with finasteride. JAMA Dermatol 2021;157(1):35-42. doi:10.1001/jamadermatol.2020.3385.
  6. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/finasterid-zum-spruehen-statt-zum-schlucken-138301/ (abgerufen am 1.7.2024).
  7. Rote-Hand-Brief zu Finasterid-haltigen Arzneimitteln (1 mg und 5 mg Dosierung) sowie Empfehlungen zur Aufklärung Ihrer Patienten; 5.7.2018.
  8. Traish AM, et al. Adverse effects of 5α-reductase inhibitors: What do we know, don't know, and need to know?. Rev Endocr Metab Disord 2015;16(3):177-198. (abgerufen am 1.7.2024).

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