Ketoazidose unter Insulin icodec und Insulin glargin

Anamnese

Ein über 80-jähriger Typ-1-Diabetiker wird von seinem Hausarzt aufgrund eines zu hohen Blutzuckers (392 mg/dl) in die Klinik eingewiesen zur Blutzuckereinstellung. Der Patient ist asymptomatisch. Bei Aufnahme ins Krankenhaus zeigt die Blutgasanalyse folgende Werte:

  • Blutzucker (384 mg/dl)
  • pH (7,3)

Im Urin wurden Ketone (25 mg/dl) gefunden und eine Glucosurie festgestellt. Die Nierenretentionsparameter lagen im Normbereich, eGFR 66 ml/min/1,73 m².

Zuvor wurde seine Hausmedikation von Insulin aspart und Insulin glargin auf Insulin icodec und Insulin glargin umgestellt. Das heißt, der Patient erhält zwei Basalinsuline, statt des üblichen Basis-Bolus-Prinzips mit einem Basalinsulin und einem kurzwirksamen ("prandialen") Insulin.

Medikation

WirkstoffStärkeDarreichungsformEinnahmeschemaEinheitGrund
Ramipril2,5 mgTAB1-0-0StückArterielle Hypertonie
Atorvastatin40 mgTAB0-0-1StückHypercholesterinämie
Insulin glargin PEN8 I.E. bei BZ < 180;
10 I.E. bei BZ > 180
 Diabetes mellitus Typ 1
Insulin icodec  PEN70 I.E. einmal wöchentlich Diabetes mellitus Typ 1

Diagnose

Leichte Ketoazidose bei Hyperglykämie im Rahmen eines bekannten Diabetes mellitus Typ 1 nach Wechsel der häuslichen Diabetes-Medikation.

Therapie

  • Stabilisierung des Blutzuckers mit Insulin-Perfusor
  • Nach Absetzen des Perfusors, Beginn mit Insulin-Therapie: Insulin lispro (schnellwirksames Insulin) 6-3-4 I.E. sowie 12 I.E. Insulin glargin (langwirksames Insulin)

Pathomechanismus

Der absolute Insulinmangel bei Typ-1-Diabetes ist Folge einer autoimmunbedingten Betazell-Destruktion, sodass die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr produzieren kann. Die Therapie des Typ-1-Diabetes erfordert eine lebenslange Insulintherapie [2]. Die Standard ist die intensivierte Insulintherapie (ICT) nach dem Basis-Bolus-Prinzip mit einem langwirksamen basalen Insulin und einem kurzwirksamen prandialen Insulin [2].

Ein neu zugelassenes Medikament (Mai 2024) ist Insulin icodec (Awiqli®) [3]. Seine sehr lange Halbwertszeit von etwa einer Woche ergibt sich durch Bindung an Serumalbumin nach subkutaner Verabreichung. Nach langsamer Freisetzung des Moleküls aus diesem Depot bindet es wie alle Insuline und Insulinanaloga an Insulinrezeptoren, was wiederum zu einer verstärkten Glucoseaufnahme in die Zellen, sowie zu verminderter Glucoseproduktion in der Leber und damit insgesamt zu einer Senkung des Blutzuckers führt. Außerdem hemmt Insulin die Lipolyse im Fettgewebe [4]. Herrscht nun wie bei Typ-1-Diabetikern ein Mangel an Insulin, ist die Lipolyse gesteigert und dadurch auch die Konzentration freier Fettsäuren im Plasma. Durch verstärkten Abbau von Fettsäuren und begrenzte Endoxidation von Acetyl-CoA im Citratzyklus, das letztlich zu Aceton abgebaut wird, kommt es zur Ketoazidose. Auch der Abbau ketogener Aminosäuren verstärkt die Bildung von Ketonkörpern. Symptome sind ein starkes Durstgefühl, Polyurie, Polydipsie und Acetongeruch beim Ausatmen [2]. Laut Fachinformation muss Insulin icodec deshalb bei Typ-1-Diabetikern mit einem Bolusinsulin, also einem kurzwirksamen Insulin (z.B. Insulin lispro) kombiniert werden, um den Insulinbedarf zu den Mahlzeiten zu decken [3]. In diesem Fall war durch die Anwendung von zwei Basalinsuline die Behandlung von Blutzuckerspitzen unzureichend und es bestand zusätzlich ein erhöhtes Risiko für Hypoglykämien in Nüchternphasen.

Unter wöchentlichem Insulin icodec wurden bei Typ-1-Diabetes zudem häufiger Hypoglykämien beschrieben als unter täglichem degludec Basalinsulin, sodass dieses bei Typ-1-Diabetikern nur selten eingesetzt wird [5].

Wichtige Hinweise – Lessons learned

  • Sensibilisierung des Patienten für Hypo- und Hyperglykämie-Symptome sowie Symptome einer Ketoazidose.
  • Insulin icodec muss bei Typ-1-Diabetikern immer mit einem Bolusinsulin angewendet werden [3].
  • Bei Verdacht auf eine diabetische Ketoazidose sollen Patienten mit Typ-1-Diabetes stationär eingewiesen werden [1].
  • Anpassung der Insulintherapie bei Ketoazidose, Insulin icodec absetzen.
  • Überprüfung der Notwendigkeit einer Insulin-icodec-Gabe bei Typ-1-Diabetikern; nur einzusetzen, wenn eine umfangreiche Nutzen-Risiko-Bewertung stattgefunden hat [5].

Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Julia Groß1, Prof. Harald Dormann1, Prof. Renke Maas2, Dr. Henning Abel1, Dr. Marina Karg1, Dr. Barbara Pfistermeister1

1 Klinikum Fürth

2 Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Klinische Toxikologie

Quellen

  1. AkdÄ. Neue Arzneimittel: Insulin icodec (Awiqli®) – Markteinführung. April 2024. (zuletzt aufgerufen am 19.12.2024)
  2. AWMF. S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes. Version 5.1. September 2023. (PDF) (zuletzt aufgerufen am 26.02.2025)
  3. Fachinformation Awiqli®. Stand Mai 2024.
  4. Gelbe Liste. Insulin icodec.
  5. Russell-Jones D, et al. Once-weekly insulin icodec versus once-daily insulin degludec as part of a basal-bolus regimen in individuals with type 1 diabetes (ONWARDS 6): a phase 3a, randomised, open-label, treat-to-target trial. Lancet 2023;402:1636–47. doi: 10.1016/S0140-6736(23)02179-7.

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