Ketoazidose unter Empagliflozin

Anamnese

Ein 75-jähriger Patient wird wegen zunehmender Dyspnoe und einer unklaren Raumforderung in der Lunge notfallmäßig vorgestellt. Bereits zum Aufnahmezeitpunkt war er schläfrig, hypoton und tachypnoisch. Der Blutzucker im Serum lag in den ersten 24 h zwischen 147 und 183 mg/dl. Die venöse Blutgasanalyse zeigte eine Verschlechterung des Blut-pH-Werts von 7,26 auf 7,19 und im Urin waren Ketone (300 mg/dl) nachweisbar. Die Empagliflozin-Einnahme wurde daraufhin pausiert und der Patient vorübergehend intensivmedizinisch behandelt.

Medikation

WirkstoffStärkeDarreichungsformEinnahmeschemaGrund
Empagliflozin25 mgFTA1-0-0Diabetes mellitus Typ 2
Semaglutid1 mgPENeinmal wöchentlichDiabetes mellitus Typ 2
Edoxaban60 mgFTA1-0-0Permanentes Vorhofflimmern
Rosuvastatin10 mgFTA0-0-1Hypercholesterinämie
Bisoprolol2,5 mgTAB1-0-0Permanentes Vorhofflimmern
Ramipril10 mgTAB1-0-0Arterielle Hypertonie

Diagnose

Ketoazidose unter Empagliflozin

Therapie

  • Absetzen von Empagliflozin  
  • Bilanzierte Volumenzufuhr  
  • Insulin-/Glucose-Gabe
  • Elektrolyt-Ausgleich

Pathomechanismus

Gliflozine (Dapagliflozin, Empagliflozin, Ertugliflozin) sind Inhibitoren des Natrium-Glucose-Cotransporters 2 (SGLT-2) und vermindern die renale Rückresorption von Glucose im proximalen Tubulus, wodurch Glucose vermehrt über den Urin ausgeschieden wird und der Blutzuckerspiegel sinkt [4]. Die Entwicklung einer atypischen diabetischen Ketoazidose, also einer Übersäuerung des Blutes aufgrund von Ketonkörpern mit keiner oder nur einer mäßigen Erhöhung der Blutzuckerspiegel im Gegensatz zur klassischen diabetischen Ketoazidose, ist eine bekannte Nebenwirkung der Gliflozine und pathophysiologisch nicht abschließend geklärt [3, 6].

Vermutet wird, dass durch die vermehrte Glucose-Ausscheidung weniger Insulin ausgeschüttet wird, woraufhin der Körper mehr Glucagon sezerniert. Dies führt zu einer verstärkten Lipolyse und Fettsäureoxidation mit Bildung von Ketonkörpern in der Leber [4]. Zudem wird diskutiert, dass Gliflozine SGLT-2-Rezeptoren in der Bauchspeicheldrüse blockieren, die als Glucose-Sensoren dienen und so eine Hypoglykämie imitieren. Der Körper reagiert darauf mit einer verstärkten Ausschüttung von Glucagon. Da SGLT-2-Inhibitoren auch eine vermehrte Rückresorption von Ketonkörpern in der Niere bewirken, sind die Ketonkörper trotz Ketoazidose häufig nicht im Urin nachweisbar [1]. 

Besondere Risikofaktoren für die Entwicklung einer Ketoazidose unter SGLT-2-Inhibitoren sind akute schwere Erkrankungen, ketogene Diäten und hypokalorische Zustände, eine Exsikkose, größere operative Eingriffe und ein relativer Insulinmangel (z. B. beim Aussetzen oder bei Dosisreduktion von Insulin) [1, 3].

Wichtige Hinweise – Lessons learned

  • Bei Patienten, die SGLT-2-Inhibitoren bei Diabetes mellitus einnehmen, kann sich eine diabetische Ketoazidose auch atypisch mit kaum erhöhten oder sogar „normalen“ (euglykämischen) Blutglucosewerten manifesteren, was die Diagnose erschwert.
  • Trotz Ketoazidose im Blut können Ketonkörper im Urin unauffällig bleiben. Im Zweifelsfall ist die Bestimmung von Ketonkörpern im Blut wegweisend (Serum β-Hydroxybutyrat ≥ 3,0 mmol/l).
  • Patientenaufklärung über die Symptome einer Ketoazidose (Übelkeit, Erbrechen, Verwirrtheit, starker Durst, veränderter [süßlicher] Geruch von Urin, Schweiß und Atemluft, Müdigkeit und Schläfrigkeit) unter Therapie mit SGLT-2-Hemmern
  • Bei Verdacht auf diabetische Ketoazidose Gliflozine sofort absetzen
  • Perioperative Pause der Gliflozin-Einnahme bei Patienten, die einen größeren chirurgischen Eingriff erhalten sollen oder die aufgrund einer akuten schweren Erkrankung stationär aufgenommen werden [2, 5]

 

Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Julia Groß1, Prof. Harald Dormann1, Prof. Renke Maas2, Dr. Ullrich Voran1, Dr. Barbara Pfistermeister1

1 Klinikum Fürth, Fürth

2 Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Klinische Toxikologie

Quellen

  1. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Atypische diabetische Ketoazidosen im Zusammenhang mit SGLT-2-Hemmern (Gliflozine) („Aus der UAW-Datenbank“). Dtsch Ärztebl 2018 115;38. (letzter Aufruf am 21.11.24)
  2. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. SGLT2-Inhibitoren: Risikobewertung diabetischer Ketoazidosen. 15. Februar 2016. (letzter Aufruf am 26.11.24)
  3. Chow E, et al. Euglycemic diabetic ketoacidosis in the era of SGLT-2 inhibitors. BMJ Open Diabetes Res Care 2023;11:e003666.
  4. Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2020. S. 677 f.
  5. Gelbe Liste. Atypische diabetische Ketoazidosen unter Gliflozinen. 12.10.2018. (letzter Aufruf am 19.11.24)
  6. Woronow D, et al. Prolonged diabetic ketoacidosis associated with sodium-glucose cotransporter-2 inhibitors: A review of postmarketing cases. Endocr Pract 2024;30:603–9.

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