Anamnese
Eine 24-jährige Frau berichtet über Fatigue und Dyspnoe bei Belastung in den letzten vier Monaten. Vor 2,5 Jahren ist bei ihr eine schubförmig remittierende multiple Sklerose (RRMS) diagnostiziert worden. Zwei Monate nach Diagnose wurde eine monatliche Therapie mit Natalizumab begonnen. Nach der 27. Infusion klagt sie über Kopfschmerzen. Einen Monat später wird ein Hämoglobinwert von 6,2 g/dl gemessen.
Aktuelle Medikation
Monatliche Natalizumab-Infusion zur MS-Therapie, alle drei Monate Medroxyprogesteronacetat-Injektion zur Empfängnisverhütung.
Diagnose
Schwere Anämie unter Natalizumab-Therapie.
Die hämatologische Diagnostik ergab weder eine maligne noch eine nichtmaligne Ursache für die Anämie. Das Knochenmark war hyperzellulär, mit einem Reifungsstillstand der Erythropoese und einer Fibrose ersten bis zweiten Grades.
Etwa ein Jahr nach dem Absetzen von Natalizumab stiegt der Hämoglobinwert spontan an.
Pathomechanismus
Hypothese: Blockierung der α4-Untereinheit des α4β1-Integrins auf erythropoetischen Vorläuferzellen durch Natalizumab.
Wichtige Hinweise – Lessons learned
- Eine Anämie unter Natalizumab ist eine häufige Nebenwirkung (1–10%), schwere Anämien treten gelegentlich auf (0,1–1%).
- Nach Absetzen von Natalizumab dauert es patientenindividuell mehrere Monate, bis sich die Erythropoese regeneriert hat (Fallberichte beschreiben einen Zeitraum von zwei Monaten bis zu einem Jahr).
Quellen
Hamnvik LHD, et al. Long-lasting severe anemia following treatment with natalizumab for relapsing–remitting multiple sclerosis: a case report. J Med Case Reports 18, 245 (2024). https://doi.org/10.1186/s13256-024-04562-8