Anamnese
Eine postmenopausale Patientin wird via Notarzt mit anaphylaktischem Schock mit Zungen- und Lippenschwellung sowie Erythem am gesamten Körper in die Notaufnahme gebracht. Sie habe in einer Praxisklinik für biologische Medizin Infusionen (Amygdalin, Unizink®, Artesunat) zur alternativen Krebstherapie bei Endometriumkarzinom erhalten. Es gab keine Sofortreaktionen unter den Infusionen mit Amygdalin und Unizink®. Nachdem ca. ein Viertel der Infusion mit Artesunat infundiert war, kam es zu der anaphylaktischen Reaktion. Eine Notfallbehandlung mit Adrenalin i.m., Prednisolon i.v. und Dimetinden i.v. wurde bereits in der Praxis und vom Notarzt durchgeführt.
Medikation
Wirkstoff | Stärke | Darreichungsform | Einnahmeschema | Grund |
Artesunat | 110 mg | DFL | Einmalig 250 mg | Alternative Krebstherapie |
Amygdalin | Unbekannt | i.v. | Alternative Krebstherapie | |
Zink-DL-aspartat | 0,03 g | AMP | Einmalig 3 g | Alternative Krebstherapie |
Diagnose
Anaphylaktischer Schock, am ehesten als Reaktion auf Artesunat (i.v.) mit kardiozirkulatorischem und respiratorischem Versagen sowie Atemwegsverlegung bei Zungen- und Larynxödem.
Therapie
Endotracheale Notfallintubation und Beatmung zur Atemwegssicherung, Fortsetzung der Akuttherapie bei anaphylaktischem Schock mit Adrenalin
Pathomechanismus
Prinzipiell könnte jedes der drei infundierten Arzneimittel (mit Wirkstoff und enthaltenen Hilfsstoffen) Ursache der Anaphylaxie sein. Aufgrund des zeitlichen Verlaufes ist aber die anaphylaktische Reaktion auf Artesunat am wahrscheinlichsten. Anaphylaktische Reaktionen auf Artesunat sind beschrieben, ihre genaue Häufigkeit ist unbekannt [4].
Artesunat ist seit 2020 von der EMA ausschließlich zur Behandlung von Malaria, verursacht durch den Parasiten Plasmodium falciparum, zugelassen. Es ist ein halbsynthetisches Derivat von Artemisinin aus dem Einjährigen Beifuß (Artemisia annua). In der traditionellen chinesischen Medizin wird es bereits seit Jahrhunderten verwendet. Artesunat wird von Esterasen und CYP2D6 in den eigentlichen Wirkstoff Dihydroartemisinin (DHA) umgewandelt. DHA wirkt gegen alle Blutschizonten, aber nicht gegen die Leberstadien der Plasmodien. Der vermutete Wirkmechanismus beruht auf der sogenannten Fenton-Reaktion. Bei diesem Prozess kommt es zu einer eisenvermittelten Spaltung der Endoperoxidbrücke im DHA, was zur Bildung von freien Radikalen führt, die die Plasmodien durch Schädigung der Erregermembranen abtöten [4].
In der Komplementärmedizin wird Artesunat auch als „biologische“ Krebstherapie „off Label“ angeboten. Präklinische Daten weisen darauf hin, dass Artemisinin auch gegen Krebs eingesetzt werden könnte, aussagekräftige klinische Studien fehlen [2]. In einer aktuellen Übersichtsarbeit wird die Wirkung auf Tumorzellen als mäßig eingestuft [3]. DHA ist ein Induktor von CYP3A, ein Inhibitor von CYP1A2 und ein UGT(Uridindiphosphat-Glucuronosyltransferasen)-Substrat, sodass zahlreiche mögliche Interaktionen zu beachten sind [4]. In der S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patienten“ wird darauf verwiesen, dass randomisierte klinische Studien zur Wirksamkeit, Mortalität, Morbidität und Lebensqualität bei onkologischen Patientinnen derzeit noch nicht vorliegen und keine Empfehlung für oder gegen eine Gabe von Artemisia annua gegeben werden kann [1].
Wichtige Hinweise – Lessons learned
- Artesunat ist ausschließlich zur Akutbehandlung der schweren Malaria bei Kindern und Erwachsenen zugelassen und verschreibungspflichtig.
- Häufige Nebenwirkungen sind Retikulozytopenie und post-Artesunat-induzierte Hämolyse. Herz-Kreislauf-Reaktionen wie Bradykardie, Hypotension, hepatische und gastrointestinale Nebenwirkungen sowie Flush und Anaphylaxie und die Entwicklung toxisch epidermaler Nekrolysen sind beschrieben.
- Die intravenöse Gabe von Artesunat sollte nur unter strikter Herz- Kreislauf-Kontrolle und der Möglichkeit der Behandlung einer Anaphylaxie erfolgen.
Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Prof. Dr. Harald Dormann, Prof. Dr. Renke Maas*, Dr. Barbara Pfistermeister**, Dr. Ralf Aumann
Zentrale Notaufnahme, Klinikum Fürth, Fürth
*Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Klinische Toxikologie, Erlangen
**Apotheke, Klinikum Fürth, Fürth
Quellen
- AWMF. S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen. Version 2.0. Mai 2024.
- Behzad A, CAM Cancer Collaboration. Artemisia annua [online document], Jun 30, 2022.
- Efferth T. Artemisia annua und Artesunat in der Onkologie. Zeitschrift für Phytotherapie 2024;45:15–21.
- European Medicines Agency. Artesunat Amivas (Artesunat). EPAR. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/artesunate-amivas (abgerufen am 26.11.2024).
Kontakt
Klinikum Fürth
Studienzentrale der Zentralen Notaufnahme
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